Scheiss Drauf Festival 2020 – Nachbericht
Und wieder einmal wurde aus der Not ein besonderes Feeling geboren. Hieß es im vergangenen Jahr noch „Abgesagtes Festival; ach Scheiß drauf”, gingen dieses Jahr die Mittelfinger für Corona nach oben. Anders als geplant, sollte die Neuauflage des Debüt-Festivals des vergangenen Jahres nicht erneut in der Lutherstadt Eisleben stattfinden können, stattdessen verschlug es die Szene gute 2 Stunden Autofahrt tiefer in den deutschen Osten.
Eine entspannte Anfahrt und der unkompliziert Einlass waren die ersten erfreulichen Vorboten eines durch und durch gelungenen Wochenendes. Die perfekten Wetterverhältnisse sorgten zusätzlich beim Zeltaufbau für heitere Stimmung und steigerten Gelüste nach Hagebuttentee; denn Alkohol war ja leider im Camp verboten.
Und los geht’s SDF 2020
Den Anfang machten die Nordhessen von Ehrensache, gefolgt von der Dessauer Band Letzte Warnung, für mich als langjähriger Anhaltiner ein Have To See. Coronabedingt wurde der 17 Uhr-Slot von Chaos Messerschmitt durch eine weitere Ost-Kombo besetzt. Harzinfarkt konnten sich den freien Platz sichern und präsentierten sich hörbar glücklich über diese kurzfristige Möglichkeit, sich erneut beim SDF aufs Line Up schreiben lassen zu können.
Never change a winning Team
Nicht nur die Harzer konnten ein Scheiß-Drauf-Comeback feiern. Gut die Hälfte der Acts teilten sich bereits 2019 die Bühne und sorgten schon im letzten Jahr für ein mehr als nur vorzeigbares Festival-Debüt. Für Steffen Kiederer also Grund genug, sich die Erfolgsgaranten für die Neuauflage nochmals einzuladen.
Eben diese folgten mit Wir Gegen Uns, den Egoisten und Hörsturz Moers. Mit harten Klängen, satten Punkrock und kräftigem Oi!, ließen wir es uns in den 4er-Logen gut gehen, mit dem langersehnte Biergenuss nach der Hagebutten-Grundlage.
Kiedi hat die Meute im Griff
Mit King Kongs Deoroller belustigte uns erfolgreich Gastgeber Kiedi mit Band und heizte mit seinen Jungs die Stimmung für den Headlinder des Abends an. Mit steigendem Pegel und weiterrückender Uhr, benötigte der eine oder andere dann doch eine kleine Erinnerung sich wieder in seine Loge zu begeben und sich an das gewissenhaft ausgeklügelte Hygienekonzept zu halten. Mit freundlicher Aufforderung von der Bühne durch Kiedi, tat dies der Stimmung aber keinesfalls ein Abbruch, denn spätestens nach einer erneuten Bitte, stand jeder wieder auf seinem Platz. Seitens der Redaktion möchten auch wir von Vollgas Richtung Rock an dieser Stelle ein Lob aussprechen. Gewohnt humoristisch und mit einer ordentlichen Portion Rock, konnte den Krawallbrüder somit ein sichtbar angeheitertes und überaus glückliches Publikum übergeben werden.
Die zweite Heimat
Dass Pascal und seine Jungs immer wieder gern aus dem fernen Saarland in die ehemalige Zone kommen, ist weit und breit bekannt, also nicht verwunderlich, dass sie auch diesmal der zweiten Heimat einen denkwürdigen Abend beschert haben. Kurzerhand durfte sich Backliner Sascha Hein, als Ersatz, am Bass beweisen und unterstützte die Brüder mit Bravour bei Klassikern, aber auch neuen Tracks der aktuellen Platte AUF MESSERS SCHNEIDE.
VIVA und die Onkelz
Keiner anderen Band auf der Welt ist es wohl mehr zu verdanken, als den Böhsen Onkelz, dass wir uns als Szene immer wieder zusammenfinden. Diese Dankbarkeit war nicht nur bei den Covern von VIVA zu spüren, sondern zog sich bereits den gesamten Tag über das Gelände. „Auf gute Freunde“ wurde nicht nur einmal gecovert, sondern diente immer wieder gerne als Soundcheck und kleiner Anheizer für zwischendurch. Auch den nächsten Tag sollte man immer wieder die blutigen Küsse im Ohr haben. Während VIVA mit starken basslastigen Problemen zu kämpfen hatten, zogen sich die ersten für eine frostige Nacht zurück und überließen das restliche Feiervolk den Hits von Rammstein und Frei.Wild, aber auch den eigenen Songs der vier Franken bis in die frühen Morgenstunden.
Eisfüße und kalte Dusche
Nach einer recht kurzen und durchaus frischen Nacht erwachte das Gelände wieder relativ zügig zum Leben; den kalten Duschen möchte man ihren Anteil daran nicht absprechen. Hat so manch einer mit der Füllmenge des Boilers Glück gehabt, trieb es die meisten schon nach wenigen Minuten wieder aus der Kabine. Aber alles Jammern auf hohem Niveau, denn wach und sauber konnte man nun pünktlich in den Tag starten.
Jogginghose und Ukulele
Nach kurzfristiger Erkrankung von Anthony Scott starten Bierballistik mit einer Stunde Verzögerung. Nicht nur aus unserer Redaktion war im Anschluss die Meinung zu vernehmen, dass es mehr Bands in Jogginghose mit Ukulele geben müsse. Festival-Outfit ist eben nicht nur dem Zeltplatz und dem Publikum vorenthalten. Brandalarm und The Ape Escape haben sich nicht den Modeberater der Vorgänger geteilt, legten jedoch musikalisch eine Schippe drauf. Für mich die perfekten Anheizer was nun folgen sollte
OOOOOOLGAAAAA
Eins meiner persönlichen Highlights war der Auftritt von Fräulein Tonspur. Ich gestehe zu meiner Schande, lange musste ich auf die Möglichkeit warten, die Jungs, um Gitarristin Michaela, einmal in Aktion zu sehen. Mit Songs aus dem kommenden Album und Hits ihrer aktuellen Platte kam auch Bewegung in die Logen, gipfelnd in dem erwarteten Finalsong „Olga“. Mit den Jungs von Ampex schlossen sich sanftere Töne an. Teils noch sehr unsicher wirkten die vier jungen Rocker und konnten mich nur bedingt überzeugen. Formlos schlossen sich an und konnten ihren Fans einen gestandenen Auftritt präsentieren.
Der Weg zum Finale
Nach ruhigeren Tönen sollte es mit der Kombo Brennstoff wieder knallen. Mit dem Einbrechen der Nacht waren brachiale Klänge von der Bühne zu hören, gefolgt von V.E.R.S.U.S, die dieses Jahr aufgrund des früheren Slots mehr Kehlen zum Singen bringen konnten als beim vergangenen SDF. Die Oi!-Punker von Durstige Nachbarn spitzten die Stimmung weiter zu und hinterließen ein explosives Publikum.
Ohne Party kein Rotz & Wasser
Mit den Hamburgern Rotz & Wasser 24/7- Rock´n´Roll folgte der für mich beste Auftritt des Scheiß Drauf Festivals 2020. Harte Klänge, humorvolle Texte, Trompete und Akkordeon, bis hin zum Rollstuhlpogo auf der Bühne. Die Jungs aus der Hansestadt hatten ordentlich viel im Gepäck und sorgten für ausgelassene Stimmung zum Abend und dem sich nähernden Ende des SDF. Gehen wollte im Anschluss niemand, sodass sich Haymaker über einen gut gefüllten Bühnenvorplatz freuen konnten und mit ihren ausschließlich englischsprachigen Songs ein Unikat an diesem Wochenende darstellten. Mit Asphalt beendeten erneut Franken den Abend und kuschelten die Fans vom Gelände.
Wehmut und Bockwurst – Ein Fazit
Wer ein Festival mit gewohnten Campingplatz-Partys und einem Gelände mit reichlich Körperkontakt erwartet hat, wurde an diesem Wochenende enttäuscht. Jedoch war dies von Anfang an klar. Viel enttäuschender finde ich persönlich all diejenigen, die sich in den sozialen Netzwerken über Corona, Auflagen und Verbote echauffieren und die Szene dennoch hängen lassen. Es werden Möglichkeiten geboten, dass Bands und Veranstalter den einen oder anderen Penni verdienen können, es wird den Fans eine Möglichkeit geboten, Corona und die Sorgen des Alltags zu vergessen. Deswegen ist es für mich unverständlich, dass bei all den Beschwerden im Netz nur gut ein Viertel des Platzes belegt war. Wir danken Steffen Kiederer und Team, allen Bands und Beteiligten für dieses Wochenende. Wer nicht dabei war, hat definitiv was verpasst…unter anderem die weltbesten Bockwürste für einen schmalen Euro.
Redaktionell verantwortlich für diesen Artikel:
Über mich: 28 Jahre jung, wohnhaft im Herzen der Republik in Sachsen-Anhalt, begeisterter Deutschrocker und Festivalgänger.
Angefangen bei Vollgas Richtung Rock habe ich als Schreiberling in der Redaktion. Schnell fand ich aber auch Spaß an anderen Wegen der Berichterstattung. So bin ich seit einiger Zeit auch in dem einen oder anderen Bühnengraben mit der Kamera in der Hand vertreten.
In meinem bürgerlichen Leben verdiene ich mir meine Brötchen als Pflegegutachter im Mansfelder Land.