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Früher war alles besser! Auch der Deutschrock?

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Die sollen mal wieder die alten Sachen spielen!“, „Das neue Album ist echt kacke!“, „Die haben sich total verändert!“ Ob bei Frei.Wild, den Böhsen Onkelz oder anderen Bands unseres Genres sind genau das die Paradebeispiele für unreflektierte Aussagen, die man im Austausch über Neuerscheinungen über sich ergehen lassen muss. Genau, denn früher war alles besser. Bands, die genannte Parolen über ihr neuestes Album im Netz deklarieren müssen, argumentieren nicht selten mit Worten wie: „Wir sind nun mal reifer geworden.“ oder „Wir haben uns weiterentwickelt.“ Doch ist das tatsächlich der Grund dafür, dass die alten Alben unserer Idole nach wie vor mehr Aufmerksamkeit genießen, als das neue Album, auf das wir mit schwitzigen Händen gewartet haben? Für das wir beim Start des Vorverkaufs wie ein hysterischer Teenie auf die Bestellen-Taste eingeprügelt haben?

Die besten Beispiele für kontroverse Ansichten sind und bleiben „Memento“ von den Böhsen Onkelz und „Rivalen und Rebellen“ von Frei.Wild. Noch heute, viele Monate nach den Veröffentlichungen, echauffieren sich die Fans und quengeln untröstlich vor sich hin wie ein kleiner Junge wegen eines falschen Weihnachtsgeschenks. Die neuen Songs wären ja so viel schlechter als die Alten, denn früher war ja ohnehin alles besser. Dass entsprechende Werke oftmals nicht die Wirkung bei ihren Fans erzielen, die sie verdient haben, ist offensichtlich psychologischer Natur.

Die Liebe zu alten Liedern

Auf akribischer Suche nach neuen Klamotten diverser Rockbands stieß ich relativ schnell auf ein eindrucksvolles Logo einer bisher unbekannten Band. Ein kurzer und prägnanter Name mit einem bemerkenswerten Zusatz in Form eines Geweihs prangte auf dem Display und beflügelte meine Neugierde. Der Name der Band: Frei.Wild. Das aktuellste Album: Gegengift.

Als ich 2011 begonnen hatte, den Deutschrock hektisch vor Begeisterung in mich aufzunehmen wie Sauerstoff nach der letzten Physik-Vorlesung, beherrschten Alben wie „Gegengift“, „E.I.N.S.“ von den Böhsen Onkelz oder „Von Anfang bis Jetzt“ von Wilde Jungs meinen musikalischen Alltag. Wie ein pubertierender Halbstarker, dem das erste Haar am Beutel wuchs, freute ich mich über jede neue Platte, die ich in mein Brevier aufnehmen konnte. Heute, über sieben Jahre später, regiert viel mehr die Angst vor einer Neuerscheinung, sie könne mich zutiefst enttäuschen und meine noch knabenhafte Seele in tausend Teile zerpflücken. Die Band, die dir bisher liebevoll die Brust gab, klingt urplötzlich ganz anders als bisher. So wie du sie kennengelernt hast, wird es sie ab jetzt nie wieder geben. Panik überkommt den Moment, ein innerliches Massensterben bricht aus und der Gedanke, alles zu verbrennen wirkt von Sekunde zu Sekunde weniger unrealistisch. Ein Schockmoment für jeden Fan! Oder etwa nicht? Das zuerst Gehörte finden wir also grundsätzlich besser, denn so haben wir die Band einst kennengelernt. Alles, was danach kommt, übertrumpft das Bisherige nur in den seltensten Fällen. Bei Merlins Bart, warum ist das so?

Drehen wir das Ganze einmal um:

Was wäre eigentlich, wenn wir das aktuelle Album vor allen anderen gehört hätten? Würden wir in diesem Fall auch sparsam aus der Wäsche gucken? Theoretisch nein. Vielmehr wären wir begeistert, weil wir keine besonderen Erwartungen an die Musik hatten und die Messlatte nicht unverhältnismäßig hoch angesetzt hätten.

Es gibt nur wenige Interpreten in der Deutschrockszene, die euch beim Veröffentlichen neuer Töne nicht enttäuschen können. Beispielsweise die Krawallbrüder hören sich jedes Mal gleich an. Der Fan weiß immer, was er bekommt und alle sind frohen Mutes.
Dennoch: Vielleicht ist die neue Unantastbar-Scheibe diesmal zu weich. Es mag auch sein, dass die neue Goitzsche Front nicht mehr dreckig genug klingt, doch alle vermitteln sie ein individuelles Gefühl und sind musikalisch herausragende Meilensteine in den jeweiligen Discographien. Grund für Veränderungen kann ein Wechsel des Labels, aber auch die aktuelle Gemütslage des Komponisten sein. Ein neues Album muss nicht zwangsläufig schlechter sein. In den meisten Fällen sind sie schlichtweg anders. Darüber hinaus sind großartige Alben nun mal schwer zu toppen. Die Musiker verschießen damit oft ihr wertvollstes Pulver. Sollte ein Album einmal ausnahmslos missfallen, bleiben uns doch immer noch die alten Lieder, oder? Seid offener für Neues und nehmt die Scheuklappen ab, die euch den Blick nach links und rechts verwehren. Auch dir kommt ein Album in den Sinn, wenn du diese Zeilen liest. Gib dem Ganzen eine Chance, denn früher war definitiv nicht alles besser.

Redaktionell verantwortlich für diesen Artikel:

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