Leidbild zeigen sich authentisch und dreckig mit viertem Album NUMERI

Foto: Jana Stahl

Leidbild stehen mit ihrem inzwischen vierten Album NUMERI in den Startlöchern und zeigen auf ihrem neuen Langspieler, welche musikalischen Entwicklungsschritte sie seit ihren Anfängen gemacht haben. Klare Kante und ungeschönte Wahrheiten verpackt in experimentelle, druckvolle und raffinierte Instumentals. Wir haben mit Leidbild über das Album und dessen Besonderheiten gesprochen.

Ein neues Kapitel

VRR: Euer neues Album heißt NUMERI – Zahlen haben ja oft eine gewisse Kälte und Distanz. Ist das ein Statement über unsere Gesellschaft oder steckt etwas Persönlicheres dahinter?

Chriss: Im Prinzip beides. Nach LEVITIKUS (3. Buch Mose) wurde es Zeit für ein neues Kapitel. Und so entstand die Idee, dieses nach dem 4. Buch Mose zu benennen: NUMERI, was auch gleichzeitig unsere vierte Veröffentlichung ist. Das Buch in der Bibel berichtet von einer Rast, einem Aufbruch zu einer Reise und einer Entwicklung. All das lässt sich auf uns als Musiker und Band sehr schön übertragen. So viel zum Persönlichen. Darüber hinaus passt die Geschichte in Numeri sehr gut zur aktuellen Zeit. Eine Spaltung der Gesellschaft, die gefühlte Dominanz der eigenen Meinung oder eine Rebellion gegen die Obrigkeit. All das sind Dinge, die wir auch in unserer heutigen Gesellschaft wiederfinden. Und auch wir befinden uns gefühlt in einer brennend heißen Wüste und suchen den Weg aus ihr heraus.

VRR: Ihr habt bereits drei Singles veröffentlicht. Inwiefern spiegeln diese Songs den Gesamtcharakter des Albums wider – oder sind das eher die Einsteiger-Drogen für das, was noch kommt?

Jens: Anhand der bisher veröffentlichten Singles kann man bereits gut erkennen in welche Richtung der Sound dieser Platte geht. Im Studio wurde viel gefeilt und unser Produzent hat noch einiges an Input beigesteuert, um einen weiteren Sprung zu machen nach LEVITIKUS. Dennoch sind auch musikalisch sehr unterschiedliche Songs vertreten und einige unserer persönlichen Favoriten kommen erst mit dem Album.

Chriss: Da gebe ich Jens vollkommen recht. Tatsächlich war es diesmal sehr schwer, die Singles auszuwählen, weil die Songs für sich selbst sehr individuell sind. Da war es am Ende wahrscheinlich auch eine situative oder spontane Entscheidung. Die übrigen Songs stehen den Singles auf jeden Fall qualitativ in nichts nach. Würden wir die breite Masse ansprechen wollen, hätten wir auf jeden Fall andere Songs auswählen sollen. (lacht)

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Foto: Jana Stahl

Klare Kante

VRR: Leidbild steht für klare Kante und ungeschönte Texte. Gab es beim Songwriting für NUMERI Momente, in denen ihr dachtet: Das können wir so nicht bringen? Oder gibt es für euch keine Tabus?

Chriss: Doch schon. Man ist ja auch irgendwann betriebsblind, deshalb holst du dir schon auch mal den Ratschlag von befreundeten Musikern ein, gerade wenn es um äußerst kritische Texte geht. Wir alle wissen, mit welchem zu Unrecht verliehenen Ruf die Deutschrockszene zu kämpfen hat, deshalb sollte man meiner Meinung nach manche Äußerungen auch mal reflektieren oder eben von außen reflektieren lassen. Ganz klar gehört die Provokation dazu und ist ein ganz wichtiges Element, allerdings sollte auch die Provokation gewisse Grenzen einhalten. Du musst dich ja immer schon auch fragen, was lösen meine Texte und Worte beim Publikum aus. Und wir als Musiker oder Songwriter sollten uns dieser Verantwortung unbedingt bewusst sein.

VRR: Die deutsche Musiklandschaft ist aktuell voll mit belanglosem Radio-Pop und generischem Metalcore. Wo seht ihr euch dazwischen oder seid ihr die Antithese zu diesem Einheitsbrei?

Christo: Ich erwische mich auch gelegentlich dabei, wie ich über die Musiklandschaft und den Geschmack der Leute schimpfe, man muss sich aber hier immer vor Augen halten, dass auch auf dem Musikmarkt die Nachfrage das Angebot bestimmt. Es gibt so viel Radio-Pop und generischen Metalcore, weil die Leute diese Musik nun mal hören wollen. Dabei ist es aber nicht unsere Aufgabe als Band diese Leute zu bekehren wie bei der Christianisierung. Wir sehen unseren Auftrag viel mehr darin, die Musik zu machen, die uns gefällt. Leidbild ist mit Sicherheit auch irgendwo ein Mix aus unseren unterschiedlichen Einflüssen und irgendwo versteckt sich dort bestimmt auch ein Pop-Element. Das Ergebnis ist zwar in diesem Fall ein Nischenprodukt, wir machen diese Musik aber nicht, um die breite Masse anzusprechen, sondern um unsere ganz eigene Nische zu füllen.

Chriss: Ich denke, die Authentizität nimmt man uns auch ab und das ist uns auch wichtig. Dass wir uns nicht verstellen müssen für den Erfolg, dass wir die Jungs bleiben dürfen, die wir sind. Ja, wir sind kein Mainstream und nein, dazu wollen wir uns auch ganz klar nicht entwickeln.

 

Belangloser Radio-Pop

VRR: Gibt es Bands und Musiker in eurem näheren Umfeld, denen ihr belanglosen Radio-Pop vorwerfen würdet und wieso?

Jens: Im direkten Umfeld vielleicht nicht, aber sicher gibt es da irgendwo welche. Aber diese würde ich hier jetzt nicht benennen. Jeder sollte das für sich selber entscheiden.

Chriss: Wenn ich viele Songs in einer kurzen Zeitspanne veröffentliche, dann wird zwangsläufig die Qualität darunter leiden. Wenn ich das als Musiker so möchte, dann sei das so, aber dann muss man eben auch damit rechnen, dass das nicht bei jedem gut ankommt. Und ich persönlich als Songwriter finde, dass damit das Publikum verarscht wird, weil es einzig und allein darum geht, Kohle zu scheffeln. Gleiches gilt für diejenigen, die sich persönlich und musikalisch verstellen, um einer breiten Masse zu gefallen. Ich finde, es ist mein gutes Recht, das Scheiße zu finden.

VRR: Euer Sound hat sich über die Jahre entwickelt. Gibt es auf NUMERI Experimente oder unerwartete Elemente, mit denen ihr vielleicht sogar eure Fans herausfordert?

Jens: Wie bereits bei Frage zwei geschrieben, ja, die gibt es und sind auch durchaus erwünscht.

Chriss: Ja das haben wir auf LEVITIKUS auch schon so gemacht und siehe da, manche der Experimente haben sich zu Publikumslieblingen entwickelt. Bei NUMERI ist jede Menge dabei. Wir haben eine Piano-Rockballade, Kirchenorgeln, Songs mit Ska- sowie Blueselementen, erstmalig ein Cover oder z. B. die Sprechgesangseinlagen bei „Abgefuckt“ und der Technopart bei „Plastikpoprock“. Klar haben wir Bock, ein bisschen zu experimentieren. Ich finde, das ist in der Musik auch wichtig, damit eben nicht der oben angesprochene Einheitsbrei dabei rumkommt.

 

Zwischen Action und Drama

VRR: Wenn NUMERI ein Film wäre – welches Genre wäre es und warum?

Steffen: Schwierig zu beantworten, meiner Meinung nach. Ich würde es zwischen Drama und Action einordnen. Das liegt einfach daran, dass NUMERI eben facettenreich ist wie wir selbst. Action geladene Songs wie „Plastikpoprock“, „Frösche weinen nie“ bringen Schwung in die Bude. Als Drama hätten wir „Unser Erbe“, worum es um den Erhalt unserer Erde geht. Mehr will ich zu den Songs hier noch nicht verraten. Hört selber rein, wenn es so weit ist.

VRR: Nach dem Release geht es in die Live-Phase: Was erwartet die Fans auf der Bühne? Gibt es Überraschungen, eine neue Show oder geht es einfach nur dreckig und laut nach vorne?

Jens: Auf der aktuellen Tour mit Eizbrand machen wir den Cut am 04.04. in Hamburg. Wir switchen von der LEVITIKUS-Ära nahtlos zu NUMERI. Also ja, wir haben an unserem Bühnenauftritt weitergearbeitet.

Chriss: Ich würde zu den Attributen dreckig und laut noch authentisch hinzufügen. Mir persönlich ist es immer wichtig, dass die Leute auf einem Konzert nicht nur Musik auf die Ohren bekommen, sondern entertaint werden. Daher gilt es für uns eine Performance auf der Bühne zu zeigen, sodass die Menschen mit einer schönen Erfahrung und voller Freude nach Hause gehen und gerne wiederkommen. Es soll sich lohnen, auf ein Konzert von uns zu kommen. Dafür geben wir alles.

Nischenmusik

VRR: Welche persönliche Nachricht habt ihr noch für unsere Leser und eure Fans da draußen?

Christo: Ich hatte eben Nischenmusik angesprochen. Ich möchte noch einmal erwähnen, dass es natürlich umso schöner sein kann, wenn man mit dem, was man tut mehr Erfolg generiert. Die Lösung ist aber nicht, sich ein von Anfang an erfolgversprechendes Thema herauszunehmen, dem man sich dann widmet, nur um des Erfolges willen. Sondern man sollte sich immer dem Thema widmen, das man gerade fühlt und diese Sache zum Erfolg führen. Das wovon du später einmal stolz erzählen kannst ist weniger dein vielleicht großartiges Ergebnis aber viel mehr der Weg und deine Entscheidungen, die dich dorthin geführt haben. Das gilt natürlich nicht nur in der Musik, sondern in allen Lebenslagen!

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Redaktionell verantwortlich für diesen Artikel:

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Fotograf | Redaktion | Administration | Inhaber
Mitglied im Bundesverband deutscher Pressefotografen (bdp)

Gründete 2017 das Magazin und begann eine ganz neue, "musikalische" Reise durch die rauen Landschaften von Musik, Veranstaltungen und Print- und Online-Medien.

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