Handymeer statt Händemeer
Monatelang freut man sich seine Lieblingsband live zu sehen. Man kratzt sein letztes Erspartes zusammen, um ein Ticket zu bekommen. Es kann sogar sein, man hat eine lange Anreise, sei es mit dem Auto oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Stundenlang steht man vor der Halle, damit man ganz weit nach vorne kommt, um das Charisma des Sängers oder der Sängerin aufzusaugen oder um die rohen Klänge der Instrumente wahrzunehmen und die Idole persönlich vor sich stehen zu haben. Natürlich ist das für Viele ein absolutes Highlight, auch ich hatte dieses unbeschreibliche Gefühl das erste Mal bei meiner Lieblingsband direkt vor der Bühne.
Meine Digitalkamera musste ich am Eingang abgeben und mein Handy war noch weit entfernt von einem guten Smartphone. Es gibt von meinem ersten großen Konzert also keinerlei Bild- oder Tonmaterial, das ich selbst aufgenommen habe. Und wisst ihr was? Es sind trotzdem die besten Erinnerungen, die ich an diesen Abend habe. Mittlerweile macht es mich einfach nur noch traurig, wenn ich nichts außer Blitzlichter, helle Displays und rote Aufnahmebuttons sehe. „Wer es nicht mit dem Smartphone festhält, der war nicht dabei“ könnte man meinen, wenn man sich in den Hallen umschaut. Natürlich gibt es auch bei mir das ein oder andere Lied, bei dem ich eine Sprachnachricht oder ein kurzes Video mache, aber muss man das Smartphone das ganze Konzert über vor seinem Gesicht halten und anderen damit nicht nur die Sicht, sondern auch das Feeling nehmen? Die Band vor euch würde bestimmt auch lieber eure Gesichter anstelle eurer Smartphone-Hüllen sehen. Das hat doch etwas mit Respekt und einer guten Kinderstube zu tun, es stört ebenso die Kommunikation zwischen Band und Publikum, wenn ständig jeder nur darauf achtet, dass seine Aufnahme perfekt wird oder wie viele Personen zuhause gerade das Facebook Livevideo ansehen. Wieso schafft man es im Kino oder der Kirche die Finger vom Smartphone zu lassen, aber bei einem Konzert seiner Idole schafft man es nicht? Bei einem guten Date geht es doch auch, wieso dann nicht bei der Band, die man ansonsten nur im Auto oder Zuhause aus den Boxen hört? Was sollen die Aufnahmen denn bezwecken? Diejenigen ärgern, die keine Zeit oder kein Geld für das Konzert hatten? Frei nach dem Motto „Schau, was du verpasst hast“. Sind wir doch mal ehrlich, wie oft werden die Aufnahmen noch angeschaut, bis sie in der Versenkung verschwinden? Brauchen wir das wirklich? Ist nicht der Moment wichtiger, als der „Aufnahme“-Knopf auf dem Display? Wie würdet ihr euch fühlen, wenn ihr auf der Bühne steht und nur Kameralinsen seht? Wenn keiner mehr mitsingt, damit man die Stimme nicht auf der Aufnahme hört. Wenn keiner mehr abgeht, weil sonst das Bild verwackelt. Wenn ihr da oben auf der Bühne steht, monatelang die Tour geplant habt, im Proberaum wart und euch den Arsch für die Fans aufgerissen habt und dann kommt nichts aus dem Publikum zurück, weil alle nur mit ihrem Smartphone beschäftigt sind?
Stars wie Jack White, Alicia Keys oder Guns‘n’Roses setzen bei Ihren Konzerten mittlerweile auf spezielle, verschlossene Taschen für Smartphones, welche vor dem Konzert ein- und nach dem Konzert mit einem Spezialschlüssel wieder ausgepackt werden. Wer zum Beispiel telefonieren will, muss raus aus dem Konzertbereich und die Tasche aufschließen lassen. Zugegeben, die beste Idee ist es nicht, zumal ich mir nicht vorstellen mag, wie lange es dauert bis nach einem Konzert alle Smartphones befreit sind, aber es soll funktionieren. Nur seine, beim Bier holen verlorenen Freunde, findet man so allerdings auch nicht wieder. Weitaus besser ist hier die Handhabung von Eisbrecher, am Anfang des Konzertes bekommt jeder Fan die Möglichkeit, Bilder der Band zu machen und danach werden die Fans gebeten, ihre Handys in den Taschen zu lassen, um das Konzert zu genießen. Bisher funktioniert das recht gut. Viel schöner fände ich es allerdings, wenn jeder sein Smartphone mit etwas mehr Verstand und Rücksicht auf die Musiker nutzen und das Geschehen auf der Bühne einfach genießen würde.
Wenn Ihr die Band lieber auf dem Display, als auf der Bühne anschaut, dann kauft euch doch bitte DVDs und behindert nicht die Sicht derjenigen, die das Live-Gefühl haben wollen.
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Crew | Redaktion
Ich bin durch meine Eltern bereits mit Rockmusik aufgewachsen. Da mein Vater als Tontechniker unterwegs war, habe ich recht früh gelernt, was gute Musik ausmacht und ob eine Band vor allem live gut klingt. In der Teenie-Phase mischte sich dann zu dem bis dato englischen Rock und Punk Genre immer mehr der Deutschrock in meine CD Sammlung und dieser Linie bin ich bis heute treu geblieben. Prinzipiell ist mir der Stil egal, Hauptsache, ich höre Gitarre, Bass und Schlagzeug.