Nach unbekannten Sturmböen im deutschsprachigen Rock- und Metalbereich lecken sich die Massen bereits die Finger. Ob der frische Wind aus den Straßen von Berlin kommt, das gilt es für Herbst mit ihrem kommenden Silberling zu beweisen. Ihr inzwischen zweites Album SPIEGEL erscheint am 20.09.2024 via Drakkar Entertainment und verspricht „unbändige Energie, die die Erde unter den Füßen beben lässt“. Ob Herbst mit ihrem Langspieler SPIEGEL erdrutschähnliche Zustände verursachen oder ob das Versprechen zerbröselt wie Omas trockener Gugelhupf? Wir haben für euch reingehört:

Tracklist

1. Spiegel
2. Du kannst alles haben
3. Argumente
4. Du siehst mich an
5. Tausend Fragen
6. Hol mich raus
7. Keine Hoffnung
8. Nie wieder
9. Diese Tage
10. Spring

Zwischen Bangern und Mutmachern

Ring frei: Vielversprechend steigen wir mit dem Banger und Titelgeber „Spiegel“ ein, der unvermittelt seine Groove-Kraft demonstriert. Auch der anschließende Mutmacher „Du kannst alles haben“ bleibt im Gedächtnis haften, wie Kaugummi am Schuh. Herbst beweisen von Anfang an ein Händchen für catchy Refrains. Ihre bereits ausgekoppelte Single „Argumente“ ist ein weiteres Beispiel dafür. Die eingängige Gesangsmelodie verleitet dazu, immer wieder auf Repeat zu klicken und wer nicht aufpasst, erwischt sich unter der Dusche beim leisen vor sich hin summen.

„Tausend Fragen“ wurde ebenfalls als Single veröffentlicht und bringt durch die Gastmusiker noch einmal einen ganz anderen Drive mit. Die Rap Parts von Obsitrice (Alles mit Stil) und die Shout Parts von Dave Grunewald sorgen für eine explosive Mischung. Schwermütig wird es mit „Keine Hoffnung mehr“. Die getragen dahinschreitende Nummer wird abgelöst vom etwas leichtfüßigeren Track „Nie wieder“, der thematisch einer endgültigen Abrechnung gleicht. Mit der finalen Powernummer „Spring“ verabschieden uns Herbst mit einem letzten brettharten Paukenschlag.

Reduzierte Songauswahl

Nach dem zehnten Track und insgesamt knapp 35 Spielminuten ist der Spaß relativ schnell wieder vorbei. Der Trend in der Musikbranche scheint sich immer weiter in Richtung reduzierter Songauswahl zu entwickeln. Während es früher gängige Praxis war, zwischen 13 und 14 Songs pro Album zu veröffentlichen, scheint es heute Gang und Gebe zu sein, Langspieler mit zehn Songs auf den Markt loszulassen. Wenn man bereits im Vorfeld die Hälfte der Songs als Single auskoppelt, nimmt man dem Hörer schon den Großteil des Überraschungseffekts vorweg. Glücklich darf sich schätzen, wer mit frischen Ohren an das Geschehen herangeht und sich auf den großen Aha-Moment noch freuen kann.

Melodische Finesse

Herbst beherrschen das Genre-Einmaleins und wissen es gewinnbringend einzusetzen. Sie bewegen sich zwischen atmosphärischen Gesangspassagen und berserkerartigen Instrumentals. Trotz druckvollem Sound ergehen sie sich nicht in chaotischem Geknüppel, sondern warten mit beachtlicher melodischer Finesse auf. Herbst kreieren eine pulsierende Klangwand, die den Hörer trotz aller Härte nicht plattwalzt und paaren diese mit satter Stimmgewalt, die bei rasanten und ruhigen Passagen gleichermaßen wuchtig wirkt.

Auch lyrisch hat SPIEGEL einiges zu bieten. Herbst speisen uns nicht mit ausgenudelten Plattitüden und abgedroschenen Phrasen ab, wie es (leider) häufiger im Deutschrock der Fall ist. Spannendes Storytelling, intelligentes Wording und eine wohl dosierte Ernsthaftigkeit holen auch anspruchsvollere Hörer ab.

Herbst markieren ihr Revier

Ob das neue Album SPIEGEL tatsächlich einen Erdrutsch in der Szene verursacht? So hoch wollen wir an dieser Stelle nicht greifen. In einem derart großen Genre wie dem deutschsprachigen Rockbereich scheint über die Jahre hinweg ohnehin praktisch ­alles abgegrast zu sein, was sich stilistisch umsetzen lässt. Dennoch markieren Herbst souverän ihr Revier und zeigen eindrucksvoll ihre beachtliche Bandbreite stilistischer Feinheiten. Die Berliner sollte man in Zukunft definitiv im Auge behalten!

Redaktionell verantwortlich für diesen Artikel:

Lisa Berg

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