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Bierpatrioten über 30 Jahre RANDALE POGO ALKOHOL

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Bei ihrer Bandgründung im Jahr 1992 waren die Bierpatrioten alle noch unter 20 Jahre jung, rebellisch, ungestüm und dreckig-grün hinter den Ohren. Inzwischen gelten sie als die Vorreiter der heutigen Streetcore-Szene. Wir haben das 30-jährige Jubiläum ihres ersten Albums RANDALE POGO ALKOHOL zum Anlass genommen, um auf ihre Anfänge, die zwischenzeitliche Trennung und die Reunion zurückzublicken. Sänger Schulle gibt euch tiefe Einblicke in die Entwicklung der Oi!-Szene, wie zeitgemäß sie selbst die Songs aus ihren Anfängen heute finden und wie viel Randale, Pogo und Alkohol noch in den Bierpatrioten steckt.

VRR: Euer Debütalbum RANDALE POGO ALKOHOL feiert dieses Jahr schon 30. Geburtstag. In drei Jahrzehnten ist eine Menge passiert. Was würdet ihr sagen: Wie viel Randale, Pogo und Alkohol steckt heute noch in euch?

Bierpatrioten | Randale Pogo Alkohol Cover (1994)

Schulle: Ja, wie die Zeit rennt, einfach unglaublich. In Herz und Seele steckt noch eine Menge „Randale, Pogo, Alkohol“ in uns, aber Verstand und Körper geben uns öfter ein Zeichen, es hier und da etwas ruhiger angehen zu lassen. Rückblickend ist es schon etwas wehmütig, als wir 1994 dann zum zweiten Mal in das damalige Music LAB Berlin Studio in Kreuzberg eingebucht worden sind, um in ganzen vier Tagen diesen ersten Longplayer einzuspielen und zu mischen. Das Schöne daran ist, dass Studiobetreiber und Produzentenlegende Harris Johns uns über seinen angestellten Tonmann-Kollegen Simon Fuhrmann, der uns damals betreute, ausrichten lassen hatte, dass wir bitte die Studioeinrichtung in den Heiligen Hallen nicht demolieren sollen. Da gab es schon unsererseits ein ehrfürchtiges und verschmitztes Grinsen. Harris steht meistens noch bei uns am Live-Pult, macht Live-Aufnahmen oder mastert für uns das alte Zeug für diverse Wiederveröffentlichungen. Wir sind so viele Jahre befreundet und immer noch ein Team.

Ein eigenes Festival

VRR: Zur Feier dieses Jubiläums habt ihr das „Randale Pogo Alkohol“-Festival aus dem Boden gestampft. Was erwartet uns dort und was war euch bei der Auswahl der Bands und der Location dafür besonders wichtig?

Schulle: Die Idee dazu kam schon vor ein paar Jahren, ein kleines familiäres Oi!-Punk-Festival in Ost-Berlin aufzuziehen. Der Veranstaltungsort sollte dort sein, wo es damals in den frühen 90ern den größten subkulturellen Zusammenschluss von Punks und Skins und anderem Gesocks gab – direkt im Prenzlauer Berg. Dieser Ort hat noch etwas Magisches, auch wenn sich der Prenzlauer Berg verändert hat. Ich denke, es hat gut funktioniert, eine interessante internationale Mischung aus alten und neuen Bands zusammenzubringen, die den Geist und die Werte unserer Subkultur repräsentieren. Es ist schön, dass sich diese Bands unter diesem Titel „Randale Pogo Alkohol“ im November in der legendären Kulturbrauerei zusammenfinden. Das macht einen schon stolz.

Tickets für das „Randale Pogo Alkohol“-Festival bekommt ihr >>HIER<<

VRR: Üblicherweise ist es bei euch mit Konzerten eher ruhig. In diesem Jahr haben es immerhin drei Termine in euren Live-Kalender geschafft. Woran liegt es, dass man euch so selten auf den Bühnen trifft?

Schulle: Es liegt daran, dass jeder einzelne von uns zeitlich sehr eingebunden ist. Wir sehen uns auch eher als einen Haufen von alten Freunden, als eine fleißige Band. Zuerst kommt bei uns die Familie, dann die Arbeit, danach der König Fußball und, wenn noch Zeit dafür ist, ein schönes Bierpatrioten-Konzert. Wir freuen uns auf das Spirit-Festival im August, das Randale Pogo Alkohol-Festival im November in Berlin und im Dezember die Jahresabschluss-Sause in Erfurt.

Limitierte Re-Releases

VRR: Ihr habt einige Re-Releases in der Pipeline. Euer zweites Album AUF DEM WEG ZUR HÖLLE gibt es beispielsweise als Kassette in limitierter Auflage. Wieso habt ihr euch für eine Neuauflage entschieden und worauf habt ihr dabei besonderen Wert gelegt?

Schulle: Über die Jahre gab es ja einige Best-of! und Compilation Veröffentlichungen, die wir zusammengestellt haben. Das letzte und dritte Album GEH MIT GOTT ist auch schon 24 Jahre alt. Da wir uns selber nicht unter Druck setzen, unbedingt etwas Neues herauszuhauen, verwöhnen wir ab und zu unsere treuen Fans mit diversen kleinen Nachauflagen verschiedener Formate. Hier mal eine Tape-Auflage, da mal eine limitierte LP-Auflage in verschiedenen neuen Vinyl-Farben und unsere Welt ist so in Ordnung.

Bierpatrioten (1999) | Foto: David Strempel

VRR: Als wie zeitgemäß empfindet ihr heute noch eure ersten musikalischen Werke?

Schulle: Seien wir mal ehrlich: Es gibt schon diverses Liedgut, das uns etwas zusammenzucken lässt, wenn wir es heutzutage hören. Besonders aus den Anfangstagen gab es schweinischen Kram und provozierendes Zeug, was heutzutage so einfach nicht mehr geht. In den frühen 90ern war ständiges Herumprollen und Gewaltverherrlichung in unserer Oi!-Szene schon etwas Normales. Sogar die Mädels standen in den ersten Reihen lautstark grölend und Fäuste schwingend und haben immer fleißig mitgemacht. Das hat sich dann ab Mitte der 90er verändert, wie wir eben auch. Wiederum erzählen uns auch immer wieder Leute, dass unsere Lieder aus der späteren Schaffensphase immer noch sehr aktuell und zeitgemäß seien. Was aber von Anfang an immer klar war: Rassisten und Nazis waren und sind bei uns nie willkommen.

Weitere Überraschungen

VRR: Was erwartet uns außerdem noch im Rahmen des Jubiläums von RANDALE POGO ALKOHOL? Habt ihr noch weitere Überraschungen im Gepäck, die wir schon anteasern dürfen?

Schulle: Wir haben noch zwei Alben, bei denen Interesse besteht, in verschiedenen beliebten Formaten kleine Nachauflagen davon herauszubringen. Da wird sicherlich noch etwas kommen. Und vielleicht küssen uns doch nochmal die kreativen Musen.

Foto: Bierpatrioten (1993)

VRR: So ein Jubiläum ist natürlich eine schöne Gelegenheit, in eure Geschichte zurückzublicken. Die Bierpatrioten gelten für viele als die Vorreiter der heutigen Streetcore-Szene. Wie seht ihr das selbst? Passt euch der Schuh?

Schulle: Das haben wir schon mal gelesen, aber wahrscheinlich sieht das jeder etwas anders. Wir haben ab dem zweiten Album 1998 angefangen zu experimentieren. Der einfache, geradlinige Oi!-Punk wurde mehr und mehr gepaart mit anderen musikalischen, härteren Einflüssen. So ein Mix wurde dann Streetcore genannt. Toxpack haben es nach unserer Auflösung verfeinert, bekannter gemacht und auf ihre Fahne geschrieben. Wir können uns aber noch daran erinnern, dass Redakteur Onno Cro-Mag (RIF) Ende der 90er diverse Bands im niederländischen Aardshock-Magazin aus dem Oi!-, Streetpunk- und HC-Bereich schon als Streetcore-Bands betitelte.

Dreckig-grün hinter den Ohren

Foto: Bierpatrioten (1992)

VRR: Aus welchem Bauchgefühl heraus habt ihr damals mit der Musik angefangen und würdet ihr sagen, dass dieses Gefühl bis heute anhält?

Schulle: Anfang der Bandgründung im Jahr 1992 waren wir alle noch unter 20 Jahren, jung, rebellisch, ungestüm und dreckig-grün hinter den Ohren. Wir wollten einfach nur für uns selbst und unsere damaligen Freunde Musik machen. Höhere Ambitionen, dass wir damit irgendwann bekannter werden, gab es nicht. Als wir 1993 zum ersten Mal ein Tonstudio betreten hatten und unsere IMMER BREIT-Demoaufnahmen im Kasten waren, waren wir uns sicher, dieses Erlebnis wird der Höhepunkt in unserer Bandgeschichte sein.

VRR: Wie habt ihr die Entwicklung der Oi!-Szene wahrgenommen, seit euren Anfängen bis heute? Wie haben sich aus eurer Sicht die Musik, das menschliche Miteinander und die Kultur entwickelt?

Foto: Bierpatrioten (1993)

Schulle: Ja, das nehmen wir schon positiv wahr. Zu unserer Anfangszeit war es schwierig, Oi!-Konzerte zu veranstalten oder zu besuchen. Du musstest schon aufpassen, wen du dort alles triffst. Es gab viel Stress und Schlägereien. Ständig haben diverse Leute versucht, ihre radikale politische Gesinnung einzubringen. Alle erzählten etwas von Zusammenhalt und Toleranz, aber bitte doch nicht mit denen, die dich ständig attackieren, weil du keinen Bock auf diesen Nazi- und Zeckenkram hast. Wir freuen uns immer wieder zu hören, einen gewissen Teil mit dazu beigetragen zu haben, dass es heute so ist, wie es auch sein sollte.

Ein Schlussstrich

VRR: Ich war mir nicht ganz sicher, ob man eure zwischenzeitliche Auflösung überhaupt noch thematisieren sollte, aber als Außenstehender stolpert man dennoch immer wieder darüber. Wie habt ihr die Zeit rund um die Auflösung erlebt und wie kam es letztendlich dazu, dass das Projekt Bierpatrioten nochmal aufleben konnte?

Schulle: Jetzt ist es einfacher, darüber zu schreiben. Man reflektiert ganz anders und kann auch eingestehen, dass man Fehler gemacht hat. Auch an uns ging der Kelch der Versuchung nicht vorbei. Es gab kurz nach der GEH MIT GOTT-Veröffentlichung interne Probleme, die durch die Einwirkung diverser Substanzen entstanden sind. Leider litt dadurch auch das Zwischenmenschliche. Einige Konzerte wurden abgesagt oder teilweise nicht mit allen Bandmitgliedern gespielt und man entschloss sich lieber, einen Schlussstrich zu ziehen.

VRR: Wie ging es für euch nach der Wiedervereinigung weiter? War für euch von Anfang an klar, dass ihr es locker angehen wollt oder gab es ursprünglich ambitioniertere Ziele?

Bierpatrioten (2011) | Fotos: Roman Hacker

Schulle: Es gab ein paar Jahre nach der Trennung einige Abschiedskonzerte und dann war auch Ruhe um uns. Die Wiedervereinigung gab es im Jahr 2011, als wir im Rahmen der ersten „90i! Club“-Veranstaltung in Berlin uns wieder zusammenschlossen. Das war so grandios. Seitdem spielten wir ziellos und wenn Zeit war, sehr coole, entspannte Clubshows und Festivals im In- und Ausland.

Klassenfahrt mit musikalischer Untermalung

VRR: Wie fühlt es sich heutzutage an, als Bierpatrioten unterwegs zu sein? Hat das Ganze einen professionellen Anstrich oder können wir uns das eher als eine Klassenfahrt mit musikalischer Untermalung vorstellen?

Schulle: Wir sind schon ein geselliger Haufen, der sich aber nicht mehr so zulaufen lässt. Wir spielen eher Karten und erzählen alte Geschichten, trinken dabei Kaffee und essen dazu ein Stück Kuchen und sind auch nicht abgeneigt ab und zu alkoholfreies Bier zu trinken. Dann nehmen wir uns Zeit, wenn möglich, die angereiste Stadt zu besichtigen, anstatt in dunklen Kneipen zu verweilen. Unsere Crew besteht aus einem vertrauenswürdigen Fahrer, der mit anpackt, unserer Mercherin, die unsere Fanartikel an den Mann und die Frau bringt und jemanden, der unseren Sound ordentlich nach draußen regelt. Das ist für uns Professionalität genug.

Bierpatrioten (2023) | Fotos: Rainer Knappen

VRR: So und jetzt packen wir einmal die Jugendsünden auf den Tisch. Gibt es rückblickend betrachtet Songs, die ihr veröffentlicht habt oder Momente auf Tour oder bei einem Auftritt, an die ihr nur noch unter hochgradigem Schamgefühl zurückdenken könnt?

Schulle: Das hatten wir schon zum Anfang des Interviews thematisiert und es sollte ausreichen. Über diese vielen lustigen und auch grenzwertigen Geschichten zu berichten, fehlt uns hier leider doch die Zeit, aber eine Konzertblamage sticht immer wieder heraus, wenn wir zusammensitzen und darüber reden. Mitte der 90er sind wir zu einer Show in Prag eingeladen worden. Die Reise sind wir mit einer Zugfahrt angetreten, was damals nicht so untypisch war.

Bierpatrioten (2000) | Foto: David Strempel

Wir benötigten nur unsere Gitarren und konnten dazu noch mehrere Freunde und Kumpels mitnehmen, was ja eigentlich immer viel Spaß bedeutet, aber auch öfter zur sicheren Eskalation beitrug. In Prag am Veranstaltungsort angekommen, setzte man uns in einer urigen Kneipe ab, wo wir uns literweise leckerem böhmischem Bier hingaben und bis zum Abend hin hackedicht waren. Wie wir schlussendlich auf die Bühne gekrochen sind, wissen wir nicht mehr genau. Unsere peinliche Darbietung dauerte nicht lange, da Ille frustriert die kaputtgegangene Fußmaschine durch den Saal schmiss und unsere mitgereisten Berliner Freunde eine klassische Heavy-Metal-Pyramide inszenieren wollten, die aber dann in sich zusammenbrach und der oberste sich mehrere Rippen gebrochen hatte, indem er auf die Monitore gefallen ist. Dann war Schluss, aus, Konzertabbruch – die Vollkatastrophe.

VRR: Abschließend dürft ihr uns noch einen kleinen Ausblick in die Zukunft geben: Welche Pläne habt ihr noch mit eurer Band? Oder lasst ihr es einfach entspannt auf euch zukommen?

Schulle: Wir bleiben einfach weiter entspannt und wissen es sehr zu schätzen, dass immer noch genügend Interesse an uns besteht und wir dank euch nicht so schnell in die bedeutungslose Versenkung hinab gleiten werden. Vielen Dank für dieses Interview! Oi! die Bierpatrioten (Schulle)

Redaktionell verantwortlich für diesen Artikel:

"Immer Vollgas und keine Angst vorm Scheitern. Immer Vollgas, immer nach vorne immer weiter..."

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