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Pi von Lord oft the Lost im Interview zu „Judas“ Apostel oder Erlöser?

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VRR: Danke Pi, dass du dir für uns Zeit nimmst. Am 2. Juli erscheint euer Album „Judas“. Wie kam es dazu, ein Konzeptalbum über einen der zwölf Jünger von Jesu zu machen?

Pi: Ich muss vorwegsagen, da das Album Judas heißt, denkt man als erstes an den Jünger Jesu. Das war auch Teil der Idee, aber es fängt tatsächlich ein bisschen weiter vorne an. Chris, unser Sänger, ist großer Lady Gaga Fan und die hat ein Song namens Judas. Es geht weniger um den Song, sondern eher um den Namen. Die meisten Leute kennen diese eine Geschichte aus der Bibel. Judas hat Jesus betrogen und deswegen wurde er gekreuzigt etc. Aber abgesehen davon, kamen wir ein paar Jahre nachdem Chris den Song gehört hat, durch einen befreundeten Pastor und Theologie-Professor und durch eigene Recherche, weil das Thema spannend ist, dazu, uns weiter Gedanken dazu zu machen. Was wir gefunden haben, war so unglaublich über die Person Judas. Es gibt ein Judas-Evangelium und daraus hatten wir Auszüge plus ein Buch namens „The Gospel of Judas“, wo maßgeblich Gespräche zwischen Jesus und Judas niedergeschrieben sind. Ob das alles stimmt, weiß man natürlich nicht. Es ist kein biblisches Album, es ist kein historisches Album, es ist kein religiöses Album. Wir fanden aber diese verschiedenen Sichtweisen interessant und haben uns gefragt „Was wäre wenn?“ Was wäre, wenn Judas Jesus nicht verraten hätte? Wäre Jesus nicht gekreuzigt worden und gestorben? Das Kreuz wäre nicht das Symbol der Kirche, es gäbe das Christentum nicht. Wir alle in der Band sind nicht religiös – wir sind Agnostiker. Aber wie würde die Welt den aussehen, wenn es kein Christentum gäbe. Ich meine, das ist eine Weltreligion. Wir haben uns gefragt, was wäre denn gewesen, wenn Jesus und Judas Freunde gewesen wären. Nicht nur diese hierarchische Beziehung von Apostel und Erlöser. Das Album geht vor allem auch um Gefühlswelten von Menschen, die entstehen, wenn man in zwischenmenschlichen Beziehungen gerät. Was man aber auch sagen kann, und das spiegelt sich auch im Album-Artwork wieder, dass es zwei Seiten gibt. Im Albumartwork sind es „Damnation“ und „Salvation“. Es gibt diese Extreme, die Judas einerseits als abgrundtief böse darstellen und andererseits als den wahren Erlöser. Es gibt da viele Grauzonen und das ist das, was es uns überhaupt ermöglicht hat, dieses Konzept so groß zu gestalten und ein Doppelalbum zu machen, wo sich nichts wiederholt oder repetitiv ist, sondern jeder Song anders ist und lehnt nicht an irgendwas an.

VRR: Ist Judas eher ein religiöses Album oder doch eher antireligös?

Pi: Es soll nicht religiös sein. Natürlich suggeriert es das, aber man muss es eigentlich auf oberflächlicher Ebene betrachten.  Man kann, wenn man nicht in das Konzept einsteigen möchte, einen Song wie „Death Is Just A Kiss Away“ oder „My Constellation“ einfach als Liebeslied nehmen, da muss man nicht mal an Judas denken. Das ist ein sehr schmaler Grat, den man versucht zu laufen, wenn man sowas schreibt. Dieses Konzept beizubehalten, aber zuzulassen dass es nix damit zu haben muss und trotzdem Sinn ergibt. Dass es nicht um Religion oder Anti-Religion geht. Wer sind wir zu sagen, dass Religion scheiße ist. Machtausnutzung ist scheiße, aber das gibt es nicht nur von religiösen Einrichtungen.

VRR: Bist du eher der religiöser Mensch?

Pi: Nein. Es fehlt mir der Anhaltspunkt, warum das so sein sollte. Ich bin sehr interessiert von Menschen zuhören, warum sie glauben. Die Frage ist auch an welchen Gott, denn es tut mir jetzt leid, wenn ich das so sage und ich will da auch niemanden verletzten, es gibt halt nicht nur einen Gott, das ist eine Sichtfrage. Ich für mich denke aber Wissenschaft und Logik – wertungsfrei gemeint – sind für mich eher Dinge, wo ich mich sehe.

 Nach der Show wurden Bücher gelesen 

VRR: Wie war es beim neuen Album, waren da zuerst die Lyrics oder die Musik aus der dann die Songs kreiert wurden?

Pi: Beides. Maßgeblich aber erst Musik, dann Lyrics. Wir haben uns im Vorfeld mit der ganzen Thematik auseinandergesetzt und dementsprechend Sachen niedergeschrieben. Wir hatten das große Glück, im Januar/Februar 2020 noch auf Tour gewesen zu sein. Das sah so aus, dass ein Großteil von uns abends im Bus Bier getrunken hat. Chris und ich haben uns mit Büchern hingesetzt und gelesen. Wir saßen da mit unseren Schmierblättern und haben Sachen rausgeschrieben und unterstrichen. Chris mit der einen Farbe, ich mir der Anderen und unsere Kommentare daneben geschrieben. Daraus entstanden auch schon erste Ideen, die cool klangen. Teilweise waren auch einfach Worte drin, die uns inspiriert haben. Dadurch ist natürlich noch kein voller Text geschrieben, den man dann vertont. Tatsächlich war immer erst die Musik da, aber das kann ja auch gleichzeitig passieren, dass einem eine Melodie einfällt, auf die man singen kann. Und wenn man sich sicher ist, worüber man in dem Moment schreiben möchte, fällt einem auch ganz schnell ein Text ein. Meistens ist es aber so, dass wir erstmal in einem Fantasie-Englisch, als würde ein kleines Kind Englisch sprechen, Sachen einsingen oder auch „NaNaNaNaNa“ machen. Fantasie-Englisch bringt es eigentlich am meisten, weil man die Phonetik dann schon hinbekommt. Es ist schon ein „O“ oder ein „I“ da, es ist noch kein Wort, aber du hast einen Rhythmus. Das macht es dann am Ende einfacher, Texte drauf zuschreiben.

VRR: Wie lief der kreative Teil zu diesem Album ab? Setzt man sich zusammen an den Tisch oder verschwindet jeder in seinem stillen Kämmerlein?

Pi: Wir haben in einem sogenannten „Songwriting-Camp“ geschrieben. Das haben wir schon bei „Thornstar“ so gemacht. Wir haben uns tatsächlich eine Woche ins Studio begeben. Nicht nur wir fünf als Band, sondern auch Leute aus der Crew, plus andere Musiker-Freunde, mit denen wir schreiben wollten. Und dann war es so, dass wir uns in unser Kämmerlein eingeschlossen und geschrieben haben. Wir haben sogenannte Arbeitsgruppen von 2-3 Leuten gebildet und jeden Tag durchgetauscht. Abends haben wir dann unsere Resultate präsentiert, Feedback gegeben und gesagt: das ist geil, das nicht, wenn man das und das ändert, könnte es die Produktion wert sein. Manche Songs haben sich gleich nach einem ganz anderen Künstler angefühlt. Dann gibst du den an jemanden anders weiter. So gesehen waren wir schon alle in unserem stillen Kämmerlein pro Tag. Hinterher als Texte geschrieben wurden, war es schon ein bisschen mehr stilles Kämmerlein. Da saß ich abends ganz oft da und hab mir teilweise Sprachnachrichten mit Chris hin und her geschickt, worüber wir schreiben wir wollen. Da saß ich dann bei mir allein zuhause und hab halt Text geschrieben auf die Musik und Chris genauso.

Deadlines & staubsaugen

VRR: Seit 2010 habt ihr jedes Jahr ein Album veröffentlich, woher kommt der Input dafür bzw. macht ihr euch da selbst Druck, dass wirklich jedes Jahr war neues kommen muss oder passiert das einfach?

Pi: Druck machen wir uns nicht. Druck ist sehr toxisch um Kunst zu machen. Deadlines helfen. Das ist auch mit Staubsaugen so, wenn ich sage, Bus morgen muss ich staubgesaugt haben, weil wer zu Besuch kommt, dann macht man das auch – meistens. Das ist mit Kunst genauso. Eigentlich ist es so, dass diese Lust einfach nicht aufgehört hat. Was etwas sehr Schönes ist, weil man kann ja auch irgendwann satt sein und dann ist es auch okay. Aber wenn man noch weitermacht, obwohl man kein Bock mehr hat, dann wird es richtig scheiße. Das ist bei uns noch nicht der Fall und das wird auch noch nicht so schnell der Fall sein. Man kann davon ausgehen, dass wenn wir ein Album schreiben oder gerade dabei sind zu produzieren, vielleicht noch nicht die zeitliche Einordnung da ist, aber die Ideen fürs Nächste schon.

VRR: Bei euren Videos merkt man, so finde ich, immer wieder die Liebe zu Details bzw. es herrscht immer eine tolle atmosphärische Stimmung und wie wichtig ist euch das?

Pi: Benny, der jahrelang unser Tormann war und Studiopartner von Chris, sowie sehr filmbegeistert ist und Expertise in Filmproduktionen etc. hat, ist sehr involviert z.B. beim „For They Know Not What They Do“- Video, das ist komplett sein Treatment. Für die nächsten Videos ist es ganz viel Wir. Unser Regisseur Mateo hat auch ganz viel mitzureden, weil letztendlich dreht er die Videos und er weiß auch besten, was umsetzbar ist und was nicht. Da wir ihm komplett vertrauen können, sagen wir oft: „Mateo das sind unsere Ideen aber bau die mal so ein, dass sie für dich Sinn ergeben und erzähl uns mal ne Geschichte damit.“. Da sind wir nicht festgelegt das. Es müssen wir sein, Hauptsache es ist am Ende richtig geil.

VRR: Du bist seit 2017 in der Band. Inwieweit habt ihr euch seit dem weiterentwickelt? Künstlerisch, aber auch vielleicht menschlich?

Pi: Wenn man es ganz genau nehmen will, war mein genaues Einstiegsdatum der 30.12.2016. Die „Eisheilige Nächte“-Tour war meine erste Tour als Gitarrist, quasi „try out-Tour“. Für mich war das total unsicher, ob das was wird oder nicht. Ich hatte keine Ahnung, was die sich dabei denken, weil die Jungs haben keinen Mucks gegeben, bis kurz vor der Show am 30., da haben sie gesagt: „Willst du bleiben?“ Und dann sind wir auf die Bühne gegangen. Nick kam ein halbes Jahr später dazu und seitdem sind wir komplett. Ich hoffe, dass wir uns weiterentwickelt haben, das wäre Quatsch, wenn man das 100% selber beurteilen kann. Was ich aber sagen kann und ich finde das vor allem musikalisch, ist, dass da echt große Schritte gemacht wurden. Mit „Thornstar“ hat sich der Songwriting-Prozess geändert. Zu dem war Nick das letzte Puzzlestück. Wir haben direkt auf der Bühne gemerkt „Oh Gott“ was passiert hier.  Ich kann nur sagen, wir sind die dicksten Freunde und dadurch, dass wir alle so miteinander können und so ehrlich zueinander sind, bin ich mir auch sicher, dass wir uns menschlich weiterentwickelt haben.

Corona-Stand-by-Modus

VRR:Hat Corona Spuren bei euch hinterlassen? Wie seid ihr über die Runde gekommen?

Pi: Corona hat definitiv Spuren hinterlassen. Für mich persönlich fühlte es sich so an, als wäre ein Teil von mir weg, über den ich mich leider auch sehr doll definiert habe. Was ein sehr großer Teil von mir ist – nämlich Musik machen, auf der Bühne vor allem. Das gibt einem ganz ganz viel und das hatte man dann nicht mehr. Was noch erschwerend hinzukam ist, das alles, worauf man sich freuen konnte, weggebrochen ist. Da hatte man irgendwann nur noch einen Stand-by-Modus wo man aufgehört hat, sich auf irgendwas zu freuen. Dann bleibt die Freude aus, das ist ein komisches Gefühl. Was es aber Positives hatte, man lernt zu sehen, was man hat. Vor allem in Kontrast zu anderen Menschen. Und wir hatten auf einmal ganz viel Zeit, was auch viel wert ist, vor allem wenn man ein Album produziert. Das ist wirklich supercool. Ich glaube, das hat uns auch ein ermöglicht, das Album in dem Umfang zu machen, wie wir das jetzt in einer Woche releasen.

Wir haben glücklicherweise alle noch andere Einkommensquellen, deswegen gestaltet sich das rein finanziell nicht so drastisch. Allerdings ist die Band als solche auch eine Firma. Das ist nicht nur unser eigenes Taschengeld, was da drinsteckt, es ist eine Rechtsform, wo Geld auf dem Konto ist, wie eine GmbH. Die muss sich tragen, wir sind zum Glück eine Band, die relativ verantwortungsbewusst ist, auch in finanziellen Dingen. Dementsprechend hat sich das ganz gut gehalten und wir haben so immensen Support erfahren im Bezug auf Merch-Käufe. Und da möchte ich hier auch nochmal generell sagen, Merch ist das, was ein Künstler am meisten supportet. Es ist nicht die Musik, die Illusion muss man sich nicht machen. Es ist Merchandise. Und da haben wir ganz viel Zulauf erfahren, was uns ermöglicht hat, das nicht nur wir, sondern auch unsere Crew bezahlt werden konnte. Geil.

VRR: Ihr seid auch international sehr erfolgreich, gibt es das ein Land, in das du besonders gerne reist und eins, was du dir für eine Tournee vielleicht noch wünschen würdest?

Pi: Australien auf jeden Fall, Japan muss sein, China muss wieder sein finde ich. Amerika generell, nicht mal bezogen auf Nord-, Süd- oder Mittelamerika, da fehlt noch einiges. Wir haben so eine Kratzkarte, auf der wir auskratzen können, wo wir schon waren, da ist schon relativ viel ausgekratzt aber auch viel noch nicht.

Redaktionell verantwortlich für diesen Artikel:

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