Ist der Deutschrock zu politisch?

Manchmal reicht schon ein Bandshirt oder ein Songtitel und schon steckt man in der politischen Schublade, obwohl es in der Musik oft gar nicht immer um Politik, sondern um Ehrlichkeit, Zusammenhalt und Alltag geht. Deutschrock polarisiert wie kaum ein anderes Genre. Doch ist er wirklich zu politisch? Oder hören viele einfach das, was sie hören wollen? Wir haben uns mit dem Thema auseinandergesetzt und uns einige Studien dazu angesehen.

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Zwischen Vorurteil, Missverständnis und einem klaren Standpunkt

Es kommt immer auf die Menschen an: auf die, die singen und auf die, die zuhören. Was jemand in Songs hineininterpretiert, hängt stark von der eigenen Brille ab. Und genauso davon, wie die Bands ihre Musik präsentieren. Trotzdem wird Deutschrock heute noch viel zu oft in eine der untersten Schubladen gesteckt, ohne dass sich die Mehrheit überhaupt richtig mit dem Thema befasst hat. Viele urteilen, anstatt genauer hinzuhören. Man wird komisch angeschaut oder es wird ein großer Bogen um einen gemacht. Aber, ein Funken Wahrheit steckt da immer drin. Denn egal ob Hip-Hop, R’n’B oder der metallastige Sound, am Ende drehen sich viele Songs um dieselben Themen: Liebe, Loyalität, Freiheit, Absturz, Freundschaft.

Zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit

Die Frage, wie politisch Musik ist, lässt sich nicht nur am Text festmachen. Kulturwissenschaftler wie Dunkel & Kopanski (2024) zeigen, dass Deutschrock kein einheitlicher Block zwischen Rechtsruck und unpolitischem Partyrock ist, sondern ein vielschichtiges Spannungsfeld. Von Bands, die eine klare Einstellung gegen rechte Strömungen zeigen, bis hin zu jenen, die Heimat-Rhetorik bewusst provokant einsetzen. Dabei entsteht die Bedeutung nicht allein auf der Bühne, sondern im Kopf der Zuhörer und Zuhörerinnen. Die britische Medienforscherin Sonia Livingstone (2013) nennt das „aktive Rezeption“. Wir hören nicht nur zu, wir deuten. Und genau hier beginnt das Problem. Was für die einen eine klare Aussage oder Überzeugung ist, wirkt für andere politisch und wird damit schnell falsch einsortiert.

Spannend ist der Vergleich zur kroatischen Musikszene. Forscher wie Dean Vuletić (2011) und Catherine Baker (2008) beschreiben, wie Pop- und Rockmusik in Kroatien seit Jahrzehnten Identität, Kultur und Politik miteinander verhandeln. Songs wurden dort ähnlich wie bei uns oft zu Symbolen für Zugehörigkeit oder Widerstand. Und auch dort zeigte sich, dass der Songtext nicht allein Musik politisch macht, sondern der Kontext, in dem sie gehört wird. Ob etwas als patriotisch oder problematisch gilt, liegt meist am Auge oder Ohr des Betrachters.

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Warum Deutschrock so leicht in der Schublade landet

Der Soziologe Stanley Cohen nennt das „Moral Panic“. Wenn Medien und Öffentlichkeit ganze Szenen zu Problemgruppen erklären. Früher war es Dark Metal, dann der Rap und heute trifft es oft den Deutschrock. Einzelne Skandale reichen und schon gilt das ganze Genre als verdächtig. Dass darin längst viele unterschiedliche Bands mit ganz verschiedenen Botschaften unterwegs sind, geht dabei unter. Studien zeigen, dass das Drumherum die Wahrnehmung oft stärker beeinflusst als der Song selbst.

Hört genauer hin, bevor ihr urteilt. Ein Genre ist keine Gesinnung. Zeigt Vielfalt statt Vorurteil. Bleibt offen. Lest Texte, schaut Konzerte an, sprecht mit den Bands. Erst dann wisst ihr, was dahintersteckt. Viele urteilen, anstatt genauer hinzuhören. Ein Satz, der das Problem perfekt beschreibt und der vielleicht zum Nachdenken anregen sollte. Texte sagen oft weniger aus als Gestik, Kontext und Ansagen. Ein Song wird erst durch unsere Interpretation politisch. Musik spiegelt Zugehörigkeit, nicht unbedingt Ideologie.

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Ist der Deutschrock zu politisch?

Nein, aber er wird politisch gelesen. Die Forschung zeigt: Musik ist immer auch ein Spiegel ihrer Hörer und Hörerinnen. Wenn wir aufhören, sie in Schubladen zu pressen, sehen wir wieder das, worum es eigentlich geht. Ehrliche Musik, Emotion, Gemeinschaft und Geschichten, die viele von uns besser verstehen, als sie vielleicht zugeben würden.

Quellen:

Baker, Catherine (2008):
Folklore, Turbofolk und die Grenzen der kroatischen musikalischen Identität.
In: Nationalities Papers, Band 36, Heft 4, Seiten 741–764.
Untersuchung darüber, wie Pop- und Volksmusik in Kroatien zur Ausbildung nationaler Identität beitrug.

Vuletić, Dean (2011):
Popular Music and Nationalism in Socialist Croatia.
Florenz: European University Institute
Wissenschaftliche Studie über die Verbindung von Musik, Politik und Nationalbewusstsein im sozialistischen Kroatien.

Livingstone, Sonia/Das, Ranjana (2013):
Interpretation/Reception.
London: London School of Economics and Political Science.
Forschungsarbeit über die aktive Rolle des Publikums bei der Interpretation und Rezeption von Medien und Musik.

Dunkel, Mario/Kopanski, Reinhard (2024):
Popular Music, Populism in Germany, and the Politics of Critique.
In: Müller, A. & Schmidt, S. (Hrsg.): Populismus kritisieren: Kunst, Politik, Geschlecht, Seiten 145–167.
Bielefeld: Transcript Verlag
Aktuelle kulturwissenschaftliche Analyse darüber, wie populäre Musik insbesondere Deutschrock zwischen politischer Haltung, Kritik und Missverständnis gelesen wird

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Crew | Redaktion

Schon als kleiner Stöpsel bin ich mit deutscher Rockmusik groß geworden. Die Böhsen Onkelz waren selbst in der fünften Klasse schon Pflichtprogramm. Eine kurze Abschweifung in ein anderes Genre hat mich trotzdem wieder sehr schnell auf die richtige Bahn gebracht.

Kurze Zeit später fanden auch Musikrichtungen wie Punkrock, Metal oder Alternativrock ihren Weg zu mir. Ich bin offen für Neues aber meiner Linie werde ich auf ewig treu bleiben.