Gekaufte Größe: Wie Bands mit großem Budget den Musikmarkt verzerren

Von außen betrachtet sieht Erfolg in der Musikbranche heute ziemlich eindeutig aus: Millionen Streams auf Spotify, hunderttausende Follower auf Instagram, YouTube-Videos mit sechsstelligem Aufrufzähler. Doch wer einen Blick hinter die glänzende Social-Media-Fassade wirft, stößt schnell auf eine unbequeme Wahrheit: Viele dieser Zahlen sind nicht Ergebnis organischen Wachstums, sondern schlicht eingekauft – und das völlig legal. Ihr fragt euch, wie das funktioniert? Wir haben das Thema für euch näher beleuchtet:

Streaming-Erfolg zum Schnäppchenpreis

Dass große Labels Werbebudgets einsetzen, um ihre Künstler sichtbar zu machen, ist keine Neuigkeit. Doch das eigentliche Ausmaß ist überraschend. Über Plattformen wie Google Ads (für YouTube) oder Meta Ads (für Instagram und Facebook) lassen sich Views, Klicks und Follower in erstaunlichem Maß skalieren. Für weniger als einen Cent pro View können Bands und Labels ihre Videos in günstigen Zielmärkten ausspielen. Mit einem fünfstelligen Budget sind Millionen Klicks schnell erreicht.

Wer die richtigen Einstellungen wählt und nicht nur in Westeuropa, sondern auch in Ländern wie Indien, Indonesien oder Mexiko wirbt, zahlt noch weniger. Das ist kein Bot-Traffic. Diese Views kommen von echten Menschen, aber es sind eben nicht unbedingt Fans. Für den außenstehenden Betrachter ist das nicht mehr von echtem Hype zu unterscheiden.

Wenn Zahlen wichtiger werden als Musik

Problematisch wird diese Praxis vor allem dann, wenn sich Marktbeteiligte wie Veranstalter, Agenturen oder Labels von solchen Zahlen blenden lassen. Wir selbst erleben es immer wieder, dass Bands mit hunderttausend Hörern Club- oder Festivalshows vor gerade mal dreißig bis vierzig Zuschauern spielen. Da muss man sich ernsthaft fragen, wo sind die digitalen Fans im realen Leben abgeblieben?

Plattformen wie Spotify zeigen keine Unterscheidung zwischen bezahlten und organischen Streams an. Gleiches gilt für Follower-Zahlen und YouTube-Views. Es entsteht eine Marktverzerrung, bei der die, die sich Reichweite kaufen können, plötzlich relevanter erscheinen, obwohl sie keine echte Fanbase haben. Kleinere Acts ohne großes Budget stehen vor einem Dilemma: Entweder sie investieren ebenfalls in Paid Reach oder sie gehen im digitalen Grundrauschen unter. Gerade im Independent-Bereich kann das frustrierend sein. Manche Bands spielen ausverkaufte Shows, aber auf dem Papier sehen sie beinahe schon wie ein Niemand aus, weil sie nicht 200.000 Follower haben.

Zwischen legaler Werbung und Manipulation

Rein rechtlich bewegen sich solche Werbemaßnahmen im Rahmen der Plattformregeln. Google und Meta verdienen schließlich selbst daran. Laut Angaben von Google liegen die durchschnittlichen Cost-per-View-Raten (CPV) bei YouTube Ads zwischen 0,01 und 0,03 Euro pro View, abhängig von Land und Zielgruppe. Für Spotify gibt es ähnliche Möglichkeiten, bei denen sich die Kosten weniger genau skalieren lassen.

Unterscheiden lässt sich diese bezahlte Reichweite von außen kaum von organischer. Einschlägige Tools analysieren zwar Unregelmäßigkeiten, etwa wenn eine Band plötzlich hunderttausende neuer Follower innerhalb weniger Tage bekommt, doch Transparenz gegenüber Fans oder Veranstaltern gibt es offiziell nicht.

Ein System, das echten Erfolg entwertet

Die logische Folge: Sichtbarkeit und vermeintlicher Erfolg werden zur Frage des Budgets, nicht der Musikqualität. Und damit verliert die viel beschworene „Demokratisierung durch Streaming“ an Glaubwürdigkeit. Heute sind es Klickzahlen, die den Ausschlag geben, welchen Slot eine Band auf einem Festival bekommt oder ob sie überhaupt gebucht werden. Dass diese Zahlen zum Teil systematisch aufgeblasen werden, wird in der Szene zwar diskutiert, aber selten offen ausgesprochen.

Wir selbst unterstützen Bands durch gezielte Google und Meta Ads Kampagnen dabei, Hörer und neue Fans zu gewinnen. Unser Anspruch ist es allerdings, dass sie wirklich Menschen erreichen, die ernsthaftes Interesse an ihrer Musik haben könnten. Werbekampagnen nur um der „schönen“ Zahlen willen, schädigen unsere Szene nachhaltig und erschwert es Veranstaltern, Line-ups zusammen zu stellen, die tatsächlich wirtschaftlich sind. Vielleicht ist es an der Zeit, dass Veranstalter wieder genauer hinschauen, wer tatsächlich Fans mobilisieren kann und wer sich nur digitalen Traffic erkauft hat.

Redaktionell verantwortlich für diesen Artikel:

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Leitung Magazin | Allrounder

Zwischen Schweiß, Strobo und purem Adrenalin fühle ich mich zuhause. Als Grafikerin, Marketing-Managerin, Konzertfotografin, Videografin, Buchautorin und vor allem leidenschaftliche Musikliebhaberin lebe und arbeite ich mitten in der Szene.