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Deutschrock und die Kirche

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Im Mittelalter war es unter Spielleuten üblich, sogenannte Sangsprüche vorzutragen, in denen vor allem die Kirche nicht besonders gut wegkam. Da die Vortragenden sich dadurch der Gefahr aussetzten, wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen zu landen, griffen sie dabei meist nicht die Institution Kirche an, sondern richteten ihren Spott auf einzelne Vertreter, also meistens die Pfaffen.  Fiktive Geschichten, die als wahre Ereignisse oder Überlieferungen getarnt wurden, um so schwerwiegende Konsequenzen für die Spielleute zu vermeiden, dienten dazu das System Kirche zu kritisieren. Wichtig ist noch, dass es dabei nicht darum ging, den Glauben als solchen in Frage zu stellen, sondern es sich um Kritik handelte, die den Fokus auf Fehler und Probleme einer Institution lenken sollte, um die Bevölkerung wachzurütteln und möglicherweise eine Veränderung herbeiführen zu können. 

Warum ich euch das alles erzähle, wo ihr doch eigentlich etwas über Rock hören wollt und nicht über Geschichte? Weil die mittelalterliche Praxis der Kritik am System Kirche auch in der deutschen Rockmusik weit verbreitet ist. Sie ist nur wesentlich unverblümter, da keiner mehr Angst hat, auf dem Scheiterhaufen zu landen und die Herkunft der Texte wird deshalb auch nicht mehr verschleiert. 

Zölibatäres Leben und sexuelle Übergriffe 

Wenn man sich „Kleine geile Nonne“ von Unzucht ansieht, kann man ganz klare Parallelen zu den mittelalterlichen Spielleuten erkennen. Auch hier wird ein Einzelfall beschrieben, um damit Kritik am kirchlichen System auszuüben: „Es ist die anerzogene Schuld, die dich durchdringt, wenn Gebote völlig gegen die Schöpfung sind.“ Hier wird auch ganz klar, dass es sich nicht um eine Kritik am Glauben als solchen handelt, sondern nur an der zölibatären Lebensweise, die Menschen dazu zwingt, ihre Bedürfnisse zu unterdrücken. 

Die Jungs von Chaos Messerschmitt leiten ihren Song „Wer euch nicht fürchtet“ mit Bezug auf eine Geschichte aus der Bibel ein: „Jeden Tag deines Lebens wird dir mehr und mehr klar, dass niemand für dich am Kreuz von Golgatha starb“ und prangern an, dass die Kirche zwar von einem liebenden Gott erzählt, die Menschen aber mit ihrem Leid alleine lässt.  In diesem Song ist nicht mehr viel von Tarnung oder Beschönigung zu finden. Die Band äußert ihre Kritik sehr deutlich: „Fette Popen am Bildschirm die nur denunzier‘n, die Menschen vernichten, statt helfen regier‘n, Knaben werd’n geschändet statt sie zu erziehn. 

Die Thematik des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche, die bei Chaos Messerschmitt schon kurz angeschnitten wurde, findet sich auch in „Priester“ von Local Bastards. Dieses Thema ist leider traurige Wirklichkeit und wurde lange Zeit totgeschwiegen und vertuscht, so dass die Betroffenen alleine mit ihren seelischen Wunden zurechtkommen mussten. Erst in den letzten Jahren bekannte sich die katholische Kirche zum Fehlverhalten einiger ihrer Vertreter und versprach, diese zur Rechenschaft zu ziehen. Die Local Bastards sprechen die diesbezüglichen Missstände sehr deutlich an und machen auf das Leid der Opfer aufmerksam: „Nehmen ihnen die Unschuld und die Beichte ab für den Glauben an das Charisma im Zölibat. Die Hände gefaltet sprechen sie ihr Gebet, wenn auch ein Kind durch die Hölle der Begierde geht“. 

Fanatismus und Lügen 

Die Dark-Heavy-Rocker Teufelskreis, aus Wien, prangern in ihrem Song „Kirche“ auch länger zurückliegende Taten der Kirche, wie die Kreuzzüge, an und weisen auf eine Doppelmoral der Institution hin, die ihrer Meinung nach ihre eigenen Gebote nicht befolgt: „Liebe Kirche, lass uns glauben an die Lüge oder ist es besser, wenn ich selbst betrüge?…Liebe Kirche Friede, Freude, Eierkuchen“. 

Die Thematik von Lügen und Heuchelei findet man auch bei Oomph! in „Gott ist ein Popstar“, die das sehr kreativ umgesetzt haben, indem sie Teile des „Vater unser“ verwenden, es ergänzen und so neu interpretieren: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde die Lüge“. 

Ins selbe Horn stoßen auch Berliner Weisse, wenn sie die Frage stellen, die sich wohl viele schon gestellt haben: „Wo ist euer Gott?“. Sie beschränken ihre Vorwürfe dabei nicht auf die katholische Kirche, sondern prangern alle die an, die den Glauben über die Menschlichkeit stellen: „Völker töten Völker, ihr Glaube ist der Grund. Verblendet bis zum Letzten, die Hand vor Augen, Ohren, Mund.“. 

Bei dieser Aufzählung dürfen natürlich, Böhse Onkelz mit ihrem Klassiker „Kirche“ nicht fehlen. Ich habe sie bewusst an den Schluss gesetzt, weil der Text eine sehr gute Zusammenfassung aller Gedanken und Lieder ist, die ich bisher aufgeführt habe. Auch hier wird die Kirche als korruptes System voller Lügen angeklagt, wobei gläubigen Menschen ihr Weg nicht abgesprochen wird, solange sie nicht versuchen, andere zu bekehren: „Ich kann alleine leben. Falls du das nicht kannst, ja falls du ihn brauchst, werde mit ihm glücklich, doch zwing mir nicht deinen Glauben auf.“. 

Fazit 

Auch wenn die Texte in ihrer Deutlichkeit für tiefgläubige Menschen bestimmt etwas verstörend wirken können, folgen Deutschrock-Bands einer langen Tradition der Kirchenkritik, die bis ins Mittelalter zurückreicht und durchaus Sinn macht. Die Songs wollen niemandem seinen Glauben nehmen, sondern vielmehr auf Missstände hinweisen und Tabus brechen. So wird zum Beispiel durch Thematisierung von sexuellem Missbrauch durch Vertreter der Kirche, den Opfern eine Stimme gegeben. Wichtig sind schließlich vor allem die Menschen und das sollten sie auch für die Kirche sein. Woran man glaubt, ist allerdings absolut dem Einzelnen überlassen. Jeder sollte auf seine Art glücklich werden. 

Local Bastards Interview zur Videoveröffentlichung „Priester“

Redaktionell verantwortlich für diesen Artikel:

Über mich:
Ich, 37 Jahre alt, bin wie die meisten hier mit der Musik von „Die Toten Hosen“ und „Die Ärzte“ groß geworden. Mein erstes Rock-Konzert (von Unantastbar) besuchte ich dann aber trotzdem erst vor zwei Jahren. Da mich bei diesem Konzert das Fieber gepackt hat, trifft man mich seitdem immer wieder auf Konzerten an – ich hab ja so viel nachzuholen! Das ist mein Ausgleich zu meinem Alltag mit Studium (auch spät angefangen) und Seniorenbetreuung. Mein Motto: Besser spät, als nie!

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